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Sollte Leonard Bernstein irgendwo da oben — auf einer Wolke sitzend mit Gustav Mahler ins Kartenspiel vertieft — zwischendurch auf uns herabschauen, er wird sich wundern: Auch wenn mit Anton Bruckner, Arnold Schönberg, Karl Kraus und Lenin interessante Jahresjubilare dominieren, ist — ohne Anlass eines runden Datums — auch ein Bernstein-Jahr nicht zu übersehen.
Zumindest in Wien. Nach der erhellenden Einstimmung durch den biografisch getönten Film Maestro im Dezember des Vorjahres gab es unlängst im Theater an der Wien Bernsteins Candide. Es ist dies eine Abrechnung mit dem naiven Optimismus, die er parallel zur West Side Story schrieb, welche nun an der Volksoper wohl zum Blockbuster werden dürfte. Das inhaltlich leider zeitlos brisante Musical ist natürlich auch kein Eldorado des Optimismus.
Als sehr freie Verarbeitung von Shakespeares Romeo und Julia führt es vor, was Hass zwischen einander bekämpfenden Jugendgruppen anrichten kann. Immerhin mündet es in eine finale Szene mit Ansätzen von Versöhnung und Toleranz. Tony liebt also plötzlich Maria. Ihre Zuneigung steht allerdings zwischen den Jets und den Sharks. Letztere sind eine Gruppe von Puerto-Ricanern, die herabwürdigend "Spics" genannt werden und deren Anführer Marias Bruder Bernardo ist Lionel von Lawrence.
Es gibt Dauerstunk. In einer Nacht der kurzen Messer tötet Marias Bruder Bernardo den Chef der Gegengang Riff dynamisch: Oliver Liebel. Tony, der den Kampf eigentlich verhindern will, tötet im Affekt Bernardo und wird am Ende von Chino James Park erschossen, dem besten Freund Bernardos. Wie das alles eskalieren konnte? Die Jets haben angefangen! Nein, es waren die Sharks!
Blödsinn, vor allem waren es die Jets! Die unauflösliche Reflexorgie der Gewalt, ausgelöst durch Ressentiments und Perspektivlosigkeit, wird von Lotte de Beer nicht unnötig in irgendein Heute transferiert. Dynamisch inszeniert sie entlang der New Yorker er-Jahre und konzentriert sich in einem schlichten Ambiente auf die Charaktere und eine logische Integration der dynamischen Choreografien Bryan Arias , welche ja auch ein organischer Teil der Handlung sind.